Warum fällt es so schwer, mit der Stimme eine Vielfalt an Stimmungen zu zaubern? Wir beherrschen von der Babysprach-Stimme bis zum wütend-aggressiven Wortsturm in der Regel alles. Zumindest theoretisch. Mancheiner nur in bestimmten Emotionszuständen, mancheiner nur in bestimmten Situationen, mancheiner vielleicht nur noch theoretisch. Wäre es nicht schön diese Stimmvarianz jederzeit abrufen zu können? Warum klappt das meist nicht?
Kennen Sie die Situation, dass Sie einen Satz einstudieren, sei es nur innerlich oder sogar vor dem Spiegel. Und sie hören sich dabei in den schönsten Tönen diesen Satz vortragen.
Und dann kommt die Situation, in der der Satz anderen vorgetragen wird, wo dieser Satz bei anderen Wirkung erzielen soll. Sie hören sich diesen Satz sagen — doch es hat nichts mehr zu tun mit dem, was Sie innerlich oder vor dem Spiegel gesagt hatten. Es kommt ein monotoner gleichmässiger Brei heraus. Sie sind entsetzt! Keine Emotionen mehr zu spüren, keine Spannung mehr, keine Sprachmelodie mehr. Einfach weg.
In unserer Eigenwahrnehmung glauben wir lächerlich zu wirken, künstlich oder übertrieben, wenn wir so extrem betonen und variieren. Es geschieht weitgehend automatisch, unbewusst, dass wir uns sofort wieder „normal“ benehmen. Und zwar immer nur dann, wenn Andere zusehen oder -hören. Es gibt da irgendeinen Schutzmechanismus, der uns hindert, wild zu sein, emotional zu sein, außergewöhnlich zu sein. Genau darin liegt es begraben: außergewöhnlich bedeutet außerhalb der gewohnten Verhaltensweise. Gewohnheiten bestimmen unser Verhalten mehr als uns bewusst ist.
Diese Gewohnheiten stammen zumindest zum Teil aus einer Zeit in unserer Kindheit, in der uns beigebracht wurde ruhiger zu werden. „Sei nicht so laut“, „zapple nicht so rum“ und all diese Sätze, die dazu führten, dass wir aus zappelnden, lauten Kindern brave und ruhige Kinder wurden. Die weiteren 20, 30, 40 Jahre haben diese neu gewonnene Gewohnheit — ruhig und brav sein — noch verstärkt.
Es ist tatsächlich so, dass durch Übertreiben, Ausprobieren und Feedback Anderer zunächst eine Bestätigung erfolgen muss, dass es in der Fremdwahrnehmung viel besser ist, mit Emotionen und Varianz zu sprechen. Und dann braucht es eine ganze Menge Übung, es sich wirklich zu trauen. Je ernster das Thema, desto mehr tendieren wir wiederum dazu, monoton zu sprechen und fallen so schnell in alte Muster zurück. Konsequentes Üben, Einholen von Feedback und Experimentieren sind unabdingbar.
In meinen Seminaren verwende ich dazu Übungen, die von der Übertreibung leben. Die Teilnehmer erfahren sowohl in der beobachtenden Position, als auch in der aktiven Rolle, was mit Stimme und Körpereinsatz überhaupt möglich ist.
Ich kann Sie nur ermutigen, die Übertreibung zu üben — um Schritt für Schritt kleine Verbesserungen zu erreichen.
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