Im ersten Teil sprach ich von Integrität als Voraussetzung für Charisma. Doch gibt es geschichtliche Gegenbeispiele. Es gab immer wieder Führer, denen eine charismatische Persönlichkeit zugeschrieben wurde, obwohl ihr Verhalten keineswegs als integer beurteilt werden kann.
Dazu zwei Betrachtungsweisen: Erstens steht bei großer eigener Not das Zutrauen in die Lösung einer schwierigen Situation deutlich über dem Wunsch nach Integrität. So wurde Hitler beispielsweise zugetraut die Arbeitslosigkeit zu besiegen oder ein Entkommen aus dem harten Vertrag von Versailles zu erreichen. In Kombination mit eigener Wut und Angst wird in so einer Situation leicht die Integrität drittrangig.
Zum zweiten sind ja all die Eigenschaften Interpretationen aufgrund beobachteten Verhaltens – und keiner weiss ob die Person, auf die Integrität projiziert wird, tatsächlich integer ist. Oder umgekehrt: den erwähnten Führer wurde häufig als integer betrachtet, da ihr Verhalten in Kombination mit dem (ebenfalls projizierten) Vertrauen und Zutrauen einfach Integrität bedeuten muss. Als außenstehender Betrachter mag uns das wenig nachvollziehbar erscheinen. Doch nehmen wir die Führer islamistischer Staaten, z. B. Mahmud Ahmadinedschad (das ist der iranische Staatschef, der laut schreit, dass er Israel ausradieren will), so wird dieser sicher von vielen seiner Anhänger als integer bezeichnet. Das liegt am Weltbild der Anhänger – und das ist wiederum von der jeweiligen Regierung und all ihrer Organe geprägt. Integrität ist die Übereinstimmung des Handelns mit den idealen Werten – doch welche Werte sind ideal?
Und letztlich hat in jeder Diktatur das Regime Wege gefunden, die Denkweise (Glaubenssätze) und Ideale zu verändern. Je weniger ein Volk aufgeklärt ist, desto leichter funktioniert dies. Ich will damit keines der Völker entschuldigen, auch nicht die Deutschen, die Hitler unterstützten. Aus der – verblendeten und meist durch Zensur geprägten – Situation heraus ist es jedoch zumindest nachvollziehbar wie es dazu kommen konnte (und immer wieder kommt).
Für mich ist das jedoch kein echtes Charisma, sondern aus der Not heraus entstandene Projektionen charismatischer Eigenschaften. Daraus entstand eine ähnliche Autorität, wie die echter Charismatiker. Wäre ein Hitler, Mussolini, Franco, Stalin, Mao, Ceauşescu, Pinochet oder Hussein tatsächlich charismatisch gewesen, würde dieses Charima heute noch auf uns wirken. Denn echtes Charisma übersteht.
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